Röttgen fordert Bundeswehr-Einsatz gegen die Taliban
- Norbert Röttgen, CDU-Politiker und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, fordert ein Eingreifen des Westens gegen die Taliban.
- Die Taliban rücken weiter auf die Hauptstadt Kabul vor und erobern die etwa 70 Kilometer entfernte Stadt Pul-e-Alam
- Der ehemalige Bundeswehr-General Domröse hält den Afghanistaneinsatz für gescheitert – und fordert Lehren aus dem Einsatz.
- Die USA werfen den afghanischen Streitkräften mangelnden Kampfeswillen vor.
Mit dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan rücken die islamistischen Taliban immer weiter vor und erobern zahlreiche Gebiete. Die Meldungen im Überblick:
Der CDU-Politiker Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, fordert ein Eingreifen des Westens gegen die Taliban – ausdrücklich unter Beteiligung der Bundeswehr. „Man darf nicht dabei zuschauen, wie Menschen, die uns lange verbunden waren, von den Taliban abgeschlachtet werden, wie Mädchen und Frauen alle hart erkämpften Rechte wieder verlieren“, sagte Röttgen dem Redaktions-Netzwerk Deutschland (RND). „Das wäre eine massive Selbstbeschädigung unserer Glaubwürdigkeit.“
„Nach 20 Jahren Einsatz zu sagen, das sei eine afghanische Angelegenheit, ist wirklich absurd und beschämend“, betonte Röttgen. Zwar wolle er den Truppenabzug aus Afghanistan nicht revidieren. „Trotzdem muss man der Offensive der Taliban jetzt etwas entgegensetzen, aus der Verantwortung nach 20 Jahren Einsatz heraus und aufgrund unserer eigenen Sicherheitsinteressen.“
Der einseitige und übereilte Abzug aus Afghanistan sei ein Fehler. „Das müssen wir offen gegenüber den USA kommunizieren und darauf drängen, dass sie ihre bereits stattfindende Luftunterstützung der afghanischen Streitkräfte intensivieren“, sagte Röttgen. „Das können wir aber nur dann fordern, wenn wir auch selbst bereit sind, etwas zu leisten.“
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte allerdings erst am Montag den Abzug der Bundeswehr verteidigt. „Wer die Taliban dauerhaft besiegen will, müsste einen sehr harten und langen Kampfeinsatz führen“, sagte sie. Die CDU-Politikerin stellte in Frage, ob Parlament und Gesellschaft in Deutschland dazu bereit seien. (14.8.2021)
Taliban rücken weiter auf Kabul vor
Die radikal-islamischen Taliban rücken weiter auf die afghanische Hauptstadt Kabul vor. Die Extremisten haben nun auch die etwa 70 Kilometer entfernte Stadt Pul-e-Alam erobert, wie ein Mitglied des örtlichen Provinzrats mitteilt. Dabei seien sie auf keinen großen Widerstand gestoßen. Pul-e-Alam könnte eine strategisch wichtige Stellung für einen möglichen Angriff auf Kabul sein.
Am Samstagmorgen habe es zudem Gefechte um Maidan Schar gegeben, Hauptstadt der rund 35 Kilometer von Kabul gelegenen Provinz Maidan Wardak, sagte die Abgeordnete Hamida Akbari der Deutschen Presse-Agentur.
Die Islamisten konnten zudem die mittlerweile 19. der 34 Provinzhauptstädte des Landes übernehmen. Scharana mit seinen geschätzt 66 000 Einwohnern in der Provinz Paktika im Südosten des Landes sei nach Vermittlung Ältester kampflos an die Taliban gegangen, bestätigten drei lokale Behördenvertreter.

Im Osten wurden Kämpfe um die Provinzhauptstädte von Paktia und Kunar gemeldet. Auch Masar-i-Scharif, wo die Bundeswehr noch bis Juni ihr Hauptquartier hatte, ist ein klares Ziel der Islamisten. Die Taliban versuchten am Samstagmorgen in die Stadt im Norden einzudringen, konnten aber nach Angaben örtlicher Politiker zurückgedrängt werden. Erst am Freitag hatten die Taliban mit Kandahar und Herat die zweit- und drittgrößte Stadt des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. (14.8.2021)
Ehemaliger Bundeswehr-General: Afghanistaneinsatz ist gescheitert
Der frühere Bundeswehr-General Hans-Lothar Domröse hält den Afghanistaneinsatz der Nato für gescheitert. Das Konzept „train, assist, advise (trainieren, unterstützen, beraten)“ sei nicht aufgegangen, sagte er am Samstag auf NDR Info. Obwohl die afghanische Armee gut ausgebildet und ausgestattet sei, setze sie ihre Mittel nicht ein. Die Soldaten wüssten offenbar nicht, wofür sie kämpfen, sagte Domröse. Es stelle sich die Frage, ob überhaupt ein afghanischer Staat existiere oder nicht einzelne Stammesfürsten das Land beherrschten. Domröse war 2008 Chef des Stabes der Sicherheits- und Wiederaufbaumission Isaf in Afghanistan unter dem Kommando des US-Generals David D. McKiernan.
Domröse sagte, er könne sich vorstellen, dass China, Pakistan oder Iran die Taliban eher zur Mäßigung bewegen könnten als westliche Staaten. „Es scheint sich zu bewahrheiten, dass mit Geld allein man den Afghanen nicht helfen kann.“ Der Ex-Militär forderte, Lehren aus der Erfahrung zu ziehen, dass der Aufwand vergeblich gewesen sei. Die beiden einzigen sinnvollen Wege seien für ihn entweder ein unbefristetes Engagement oder „nicht mehr hingehen“. (14.8.2021)
Vorwurf der US-Regierung: Afghanistan fehlt der Wille zum Kampf gegen die Taliban
Die US-Regierung hat der afghanischen Führung und den Sicherheitskräften angesichts des Vormarsches der Taliban mangelnde Kampfbereitschaft vorgeworfen. Es sei „beunruhigend“ zu sehen, dass die politische und militärische Führung nicht den „Willen“ gehabt habe, sich dem Vormarsch der militanten Islamisten zu widersetzen, sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, dem Sender CNN. Die USA hätten den „fehlenden Widerstand“ durch die afghanischen Streitkräfte nicht vorhersehen können.
Die afghanischen Sicherheitskräfte seien den Taliban in Bezug auf Ausrüstung, Training und Truppenstärke überlegen und verfügten über eine eigene Luftwaffe, sagte Kirby. Mit Blick auf die finanzielle Unterstützung der US-Regierung für die Sicherheitskräfte fügte er hinzu: „Geld kann keinen Willen kaufen.“ Dafür sei die politische und militärische Führung der Afghanen zuständig. Die Kampfbereitschaft sei nötig, um zu verhindern, dass die Taliban das ganze Land unter ihre Kontrolle bringen, warnte Kirby.
Das US-Militär hatte am Donnerstag angekündigt, etwa 3000 Soldaten als Verstärkung zum Flughafen Kabul zu verlegen, um die Reduzierung des Personals der US-Botschaft zu unterstützen. Rund 5000 weitere Soldaten werden zudem im Nahen Osten stationiert, um als mögliche Verstärkung bereitzustehen. (13.8.2021)
Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/afghanistan-aktuell-roettgen-bundeswehr-taliban-kabul-1.5377155
Staatsminister: Deutschland muss mit mehr afghanischen Flüchtlingen rechnen
Der Vormarsch der Taliban in Afghanistan wird nach Ansicht des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), die Europäische Union und Deutschland mit einer stark steigenden Flüchtlingszahl konfrontieren. „Die Zahl der Geflüchteten hat bereits dramatisch zugenommen“, sagte Roth der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“.
Roth führte aus, derzeit gebe es am Hindukusch 3,5 Millionen Binnenflüchtlinge, 400.000 allein in diesem Jahr. Der Druck werde nicht nur weiter „massiv“ auf die Türkei, Iran und Pakistan wachsen. „Ich bin mir sicher, dass der Migrationsdruck auf die EU und Deutschland aber auch zunehmen wird“, sage der Staatsminister.
Rückführung deutscher Staatsbürger geplant
Umso wichtiger sei es, dass das EU-Abkommen mit der Türkei zur Unterstützung der Flüchtlinge vor Ort schnell umgesetzt werde. So habe es bereits im Juni eine Überarbeitung des Abkommens gegeben.
Zugleich sagte Roth den Schutz deutscher Staatsbürger in Afghanistan zu. „Wir werden bis zum Ende des Monats ein bis zwei Charterflüge organisieren, um noch einmal eine größere Anzahl an Menschen nach Deutschland zu bringen“, sagte er der „Rheinischen Post“.
„Das Land wird nicht zur Ruhe kommen“
Grünen-Außenexperte Omid Nouripour warnte derweil davor, dass Afghanistan unter den Taliban wieder zu einem Rückzugsraum für Terroristen wird. „Die einzige Bedingung, die die USA an ihren Abzug gestellt haben, war, dass die Taliban ihre Verbindungen mit dem Terror-Netzwerk Al-Kaida abbrechen“, sagte Nouripour der „Passauer Neuen Presse“. „Das ist aber nicht passiert.“
Sollten die Taliban die Macht in Afghanistan übernehmen, stehe ihnen erst einmal ein Krieg mit dem Islamischen Staat (IS) bevor, ist der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion überzeugt. „Beide Gruppen haben sich bislang heftig bekämpft. Das Land wird jedenfalls nicht zur Ruhe kommen.“
Grünen-Außenexperte um Sicherheitslage Deutschlands besorgt
Nouripour warnte, nach einer Machtübernahme der Taliban in Afghanistan bekomme auch das Terror-Netzwerk al-Kaida „wieder Oberwasser“. Dies hätte „Folgen für unsere Sicherheitslage“.
Seit Beginn des vollständigen Abzugs der Nato-Truppen aus Afghanistan haben die Taliban weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. In den vergangenen Tagen nahmen die Islamisten rund die Hälfte der 34 afghanischen Provinzhauptstädte ein, darunter zuletzt auch die zweitgrößte Stadt Kandahar. Am Freitag standen sie nach Eroberung der Provinzhauptstadt Pul-i-Alam nur noch 50 Kilometer vor Kabul. (afp/mcf)
Vorrücken der Taliban: Baerbock will mit EU-Staaten und USA Afghanistan-Flüchtlinge aufnehmen

Deutschland solle mit EU-Staaten, den USA und Kanada Kontingente afghanischer Flüchtlinge aufnehmen, fordert Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion spricht sich dagegen für Flüchtlingsaufnahme in der Region aus.
Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock fordert die Aufnahme von Kontingenten afghanischer Flüchtlinge in Europa, den USA und Kanada. Man müsse sich jetzt darauf vorbereiten, „dass weitere Menschen in so einer dramatischen Situation ihr Land verlassen müssen“, sagte sie im „Interview der Woche“ mit dem Deutschlandfunk. Dabei dürfe Deutschland nicht warten, bis sich alle 27 EU-Länder einig seien. Es gelte, sich „mit den europäischen Ländern zusammen zu schließen, die wollen und vor allen Dingen mit den Amerikanern und den Kanadiern, damit wir klare Kontingentregeln gemeinsam vereinbaren“.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU), widersprach. Die Forderung, eine große Zahl afghanischer Flüchtlinge in der Europäischen Union aufzunehmen, sei verfehlt, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Das Engagement der EU muss vorrangig auf eine Flüchtlingsaufnahme in der Region ausgerichtet werden.“ Wie im Falle Syriens könne hier etwa an eine Unterstützung der Türkei oder ein gemeinsames Vorgehen mit dem Land gedacht werden.
„Es sendet falsche Signale, wenn die Grünen bei jedem Konflikt in der Welt sogleich die Aufnahme sämtlicher Flüchtlinge in Deutschland oder in der EU einfordern – zumal die Bereitschaft zur Flüchtlingsaufnahme mittlerweile in der gesamten EU sehr begrenzt ist“, sagte Middelberg. Er verwies darauf, dass in Deutschland zuletzt bereits mehr als 12.000 Menschen pro Monat Asyl suchten und fast zwei Drittel der Syrer hierzulande ganz oder teilweise von Hartz IV lebt.