
EU-Innenminister: Mit Geld gegen „unkontrollierte Migration“
Die UN rechnen nach der Machtübernahme der Taliban mit bis zu 500.000 weiteren Geflüchteten. Die EU ist in Sorge vor großen Migrationsbewegungen. Doch klappt dieses Mal ein koordiniertes Vorgehen?
Die Situation in Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban steht im Mittelpunkt der Dringlichkeitssitzung (Am Dienstag 31.08) der EU-Innenminister in Brüssel. Ziel der EU ist es – so viel ist bereits im Vorfeld klar – große Migrationsbewegungen nach Europa zu unterbinden und stattdessen stärker die Nachbarstaaten Afghanistans zu unterstützen.
Die EU sei entschlossen, eine erneute „unkontrollierte und großangelegte illegale“ Einwanderung nach Europa zu verhindern, zitiert die Nachrichtenagentur AFP aus einem Entwurf für das Treffen. Der Entwurf nimmt indirekt Bezug auf die Flüchtlingskrise des Jahres 2015. „Auf der Grundlage von Lehren der Vergangenheit“ müsse die EU gemeinsam eine „koordinierte und geordnete Reaktion“ auf mögliche Migrationsbewegungen vorbereiten, heißt es in dem Papier.
Drittländer, die „eine große Zahl an Migranten und Flüchtlingen beherbergen“, sollen laut dem Entwurf Hilfen bekommen, um ausreichende, „würdevolle und sichere“ Unterbringungsmöglichkeiten für die Menschen sowie „nachhaltige Lebensbedingungen für Flüchtlinge und die sie aufnehmenden Gemeinden“ zu schaffen. In der vergangenen Woche hatte die EU-Kommission bereits bekannt gegeben, 200 Millionen Euro für humanitäre Hilfe in Afghanistan und seinen Nachbarländern zur Verfügung stellen zu wollen.
Sicherheitsüberprüfungen von afghanischen Einwanderern
Sichergestellt werden müsse auch, dass die Situation in Afghanistan nicht zu „Sicherheitsbedrohungen für EU-Bürger“ führe, heißt es in dem Dokument weiter. Zu diesem Zweck müssten „angemessene Sicherheitsüberprüfungen“ von Migranten stattfinden.
Außerdem brauche es in den EU-Ländern einheitliche Regeln für die Bearbeitung von Asylanträgen afghanischer Flüchtlinge, fordert Ales Hojs, der als slowenischer Innenminister das Krisentreffen leiten wird. Ziel sei es, sich in einer gemeinsamen Erklärung auf ein Maßnahmenpaket zu verständigen: „Das wird allen Mitgliedstaaten helfen, gemeinsam den richtigen Kurs zu finden. Und dafür brauchen wir eine offene Debatte, bei der alles auf den Tisch kommt. Vor allem auch die Sorge, dass Afghanistan erneut für einen massiven Migrationsdruck sorgen könnte“, sagte Hojs.
Sichere Routen – für Österreich ein falsches Signal
Im Vorfeld des Treffens hatte EU- Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für heftige Debatten gesorgt, weil sie legale und sichere Routen für Schutzbedürftige aus Afghanistan forderte. Viele ihrer europäischen Politikerkolleginnen und -kollegen sehen darin allerdings eine Gefahr, auch wenn das nur wenige so deutlich sagen wie Österreichs Außenminister Karl Nehammer: „Das ist das völlig falsche Signal. Die Genfer Flüchtlingskommission sieht nicht vor, dass man sich das Asylland aussuchen kann, sondern gleich im nächstgelegenen Land, wo Schutz möglich ist, tatsächlich auch Schutz bekommt. Und dafür brauchen die Länder vor Ort die Unterstützung. Dafür braucht das UNHCR die Unterstützung.“
Auch wenn viele Beobachter eine Flüchtlingskrise wie 2015 für unwahrscheinlich halten, müsse man sich auf eine steigende Zahl von Flüchtlingen aus Afghanistan einstellen: Die Vereinten Nationen rechnen bis zum Jahresende mit bis zu einer halben Million weiteren Frauen, Männern und Kindern. Nachbarstaaten haben bereits 2,2 Millionen Afghaninnen und Afghanen aufgenommen. Die USA, Deutschland und andere NATO-Länder hatten seit Mitte August mehr als 100.000 gefährdete Afghanen und Ausländer aus Kabul ausgeflogen.
Quelle: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/eu-afghanistan-107.html
UN-Sicherheitsrat: Ausreisemöglichkeit für Afghanen gefordert
Auf eine „sichere Zone“ in Kabul konnte sich der UN-Sicherheitsrat nicht einigen. Dennoch versucht das Gremium, den Druck auf die Taliban zu erhöhen. In einer Resolution fordern es die Islamisten auf, Afghanen ausreisen zu lassen.
Die Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban hat auch das mächtigste UN-Gremium beschäftigt: Der Sicherheitsrat forderte die Taliban auf, Afghanen ungehindert aus ihrem Heimatland ausreisen zu lassen. Eine entsprechende Resolution wurde mit 13 Ja-Stimmen angenommen, Russland und China enthielten sich.
In der Resolution verweist der Sicherheitsrat auf die Zusagen der Taliban vom Freitag, dass Afghanen das Land jederzeit und auf allen möglichen Wegen ungehindert verlassen dürften. Der Sicherheitsrat „erwartet, dass die Taliban diese und alle anderen Verpflichtungen einhalten“, heißt es darin. Die Resolution, die von Großbritannien und Frankreich zusammen mit den USA und Irland vorgelegt wurde, fordert zugleich, dass Afghanistan nicht zu einem Hafen für Terroristen und ihre Anschlagspläne werden dürfe.
Ebenfalls hervorgehoben wird die Notwendigkeit für ungehinderten humanitären Zugang sowie die Wahrung der Menschenrechte, insbesondere „der Rechte von Frauen, Kindern und Minderheiten“. Die zuvor von Frankreich geforderte Schaffung einer „sicheren Zone“ in Kabul beschloss der Sicherheitsrat hingegen nicht.
Keine Blockade, sondern ein Durchbruch
UN-Resolutionen sind völkerrechtlich bindend – deshalb könnte sie laut Experten ein Signal an die Taliban senden, dass der Flughafen offen gehalten werden muss, um UN-Hilfslieferungen ins Land zu lassen.
Bei den meisten großen Krisen in den vergangenen Jahren waren sich die ständigen Mitglieder – vor allem die USA, China und Russland – oft uneins und blockierten gemeinsame Lösungen. In diesem Fall hatten sich die Vetomächte Russland und China offen für eine Einigung gezeigt und mit ihren Enthaltungen letztlich für einen der seltenen Durchbrüche im Sicherheitsrat gesorgt.
Im Tagesverlauf sollten noch die Vertreter der fünf Vetomächte mit UN-Generalsekretär António Guterres zusammenkommen, um über die Lage in Afghanistan zu sprechen. Das Treffen ist für 18.00 Uhr New Yorker Zeit angesetzt. Delegierte dämpften aber die Hoffnungen auf potenzielle Ergebnisse – es handele sich mehr um einen Austausch des UN-Chefs mit den ständigen Vertretern.
Quelle: https://www.tagesschau.de/ausland/asien/un-afghanistan-107.html