Habeck zur Gaskrise: Neues Maßnahmenpaket für den Winter

Habeck zur Gaskrise

Stand: 21.07.2022 15:52 Uhr

Der Gasverbrauch muss runter, die Speicher müssen voll werden: Angesichts der Gaskrise hat Bundeswirtschaftsminister Habeck ein Maßnahmenpaket für den Winter vorgestellt. Darin enthalten sind auch Vorschriften für Privathaushalte.

Die Bundesregierung will Deutschland in der Gaskrise mit einem weiteren Maßnahmenpaket für eine größere Energiesicherheit rüsten. Die verschiedenen Punkte hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Berlin vorgestellt. Es beinhaltet höhere Füllstände der Gasspeicher und Sparmaßnahmen sowohl für private Verbraucher als auch für Unternehmen.

Der Hintergrund ist die anhaltende Unsicherheit bei der Gasversorgung aus Russland, so Habeck. Er warf Moskau Erpressung vor. „Wir brauchen einen langen Atem“, sagte Habeck. Der Winter komme erst noch und auch der folgende Winter werde Herausforderungen bringen.

tagesschau live: Habeck und Müller zur aktuellen Gaslage
21.07.2022 14:34

Speicherstände erhöhen

Als einen Teil seiner Maßnahmen will Habeck die Speicherstände der Gasspeicher gegenüber den bisherigen Vorgaben um fünf Prozentpunkte erhöhen – zum 1. September auf 75 Prozent, zum 1. Oktober auf 85 Prozent und zum 1. November auf 95 Prozent. Damit solle verhindert werden, dass aus den 23 Speichern in Deutschland Gas verkauft werde.

Per Verordnung will Habeck Unternehmen zum Energiesparen verpflichten. So sollen etwa Räume, in denen sich Menschen nicht länger aufhalten wie Flure oder Eingangsfoyers, im Winter nicht geheizt werden. 

Habeck sprach zudem von einer Gaseinsparverordnung, um wenn möglich Gas aus dem Markt herauszunehmen. Zusammen mit dem Verkehrsministerium solle es eine Verordnung geben, die Kohle und Öl im Schienenverkehr den Vorzug gebe.

Keine Mindesttemperatur in Privatwohnungen

In privaten Haushalten sollen Mieterinnen und Mieter von der Pflicht entbunden werden, ihre Wohnung auf eine Mindesttemperatur zu heizen. Wenn diese etwa verreist sind oder die Temperatur für zu hoch halten, sollen sie selbst die Temperatur niedriger einstellen können als bisher vorgeschrieben. 

Zudem soll untersagt werden, dass Hausbesitzer „über diesen Winter“ private Pools mit Gas beheizen. Gleichzeitig widersprach Habeck der Befürchtung von staatlichen Heizkontrollen in Privathaushalten. „Ich denke jetzt nicht, dass die Polizei alle Poolbesitzer aufsuchen wird und guckt, ob die Pools warm sind“, betonte der Minister.

Heizungscheck und Braunkohle-Kraftwerke

Habeck kündigte außerdem einen verbindlichen Heizungscheck an. Eigentümer von Gasheizungen sollen dazu verpflichtet werden. Wer solch einen Check mache, könne seine Heizung optimiert einstellen. In Mehrfamilienhäusern solle es einen hydraulischen Abgleich geben, damit das Heizwasser optimal verteilt wird.

Zur Sicherung der Versorgung will der Wirtschaftsminister auch Braunkohle-Kraftwerke wieder ans Netz holen. Ab dem 1. Oktober werde neben der Steinkohle auch die Braunkohlereserve aktiviert, kündigte der Grünen-Politiker an. Die betreffenden Braunkohlekraftwerke könnten dann an den Strommarkt zurückkehren und Erdgaskraftwerke ersetzen.

Mehr Homeoffice

Der Einsatz von Homeoffice-Arbeit solle im Konsens mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgedehnt werden. „Die Lage bleibt angespannt, deshalb verstärken wir noch mal die Anstrengungen. Daran sollten wir mit vereinten Kräften arbeiten“, sagte Habeck.

Nach zehntägiger Wartung fließt seit heute wieder Gas durch die zentrale Pipeline Nord Stream 1 – aber nur auf dem stark reduzierten Niveau von vor der Wartung. „Die 40 Prozent können uns nicht in Sicherheit wiegen“, warnte Habeck. „Deswegen ist es wichtig, immer wieder die politischen Instrumente nachzuschärfen.“

Habecks Ministerium verwies darauf, dass sich das Vorgehen bei den Energieeinsparungen in das Bestreben der EU-Kommission einreihe, den Energieverbrauch zu reduzieren. Nach den Brüsseler Plänen sollen die Mitgliedstaaten ihre Gasnachfrage bis März freiwillig um 15 Prozent senken.

Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/habeck-massnahmenpaket-101.html


Kein Grund zur Erleichterung

Stand: 21.07.2022 14:57 Uhr

Russland hat den Gashahn wieder aufgedreht. Trotzdem bleibt Gassparen das Gebot der Stunde. Politik und Bevölkerung dürfen nicht nachlassen – und Kanzler Scholz muss das Thema zur Chefsache machen.

Ein Kommentar von Daniel Pokraka, ARD-Hauptstadtstudio

Es ist gut, dass wieder Gas durch Nord Stream 1 strömt, aber vielleicht ist es das falsche Zeichen. Dann nämlich, wenn ein Großteil der Bevölkerung diesen Tag als Entwarnung versteht: „Na guck, waren ja nur zehn Tage, kommt ja doch wieder Gas, kann ich wieder länger duschen.“

Putin kann den Gasfluss jederzeit wieder stoppen

Das Gegenteil ist richtig. Jederzeit kann Russland den Gashahn zudrehen. Das einzige Kriterium dafür ist, ob das für Staatschef Wladimir Putin opportun ist oder nicht. Egal, ob der Gasfluss noch bis morgen, nächste Woche, August oder noch länger auf heutigem Niveau bleibt oder sogar steigt – die Versorgung im Winter wackelt.

Am Gassparen führt also weiterhin kein Weg vorbei. Von der Politik sollten schnell neue Anreize kommen: Gas-Auktionen, also Versteigerungen von Verbrauchsrechten an Unternehmen zum Beispiel, und notfalls auch Bonuszahlungen für Haushalte, wenn sie weniger verbrauchen als im zurückliegenden Jahr.

Klar: Das kostet Geld, aber eine Gasmangellage dürfte deutlich teurer werden. Allerdings stoßen Anreize und Verbote beim Thema Gasverbrauch an ihre Grenzen. Es kommt ja hoffentlich niemand auf die Idee, das Ordnungsamt an Wohnungstüren klingeln zu lassen und die Temperatur im Wohnzimmer zu messen. Also sind auch Appelle nötig.

Wirtschaftsminister Robert Habeck wirbt seit Monaten fürs Gassparen, am liebsten zurückhaltend, aber ab und zu dann doch etwas konkreter. Allerdings nutzt sich das mit der Zeit ab, und vielleicht wäre es ganz gut, wenn das Thema zur Chefsache würde.

Wo ist eigentlich Olaf Scholz in der Gaskrise?

Leider ziert sich Olaf Scholz bisher. Verzicht predigen – das sollen mal schön die Grünen machen. Als er während des G7-Gipfels in der Sendung „Farbe bekennen“ im Ersten gefragt wurde, ob er denn auch ein paar Tipps zum Gassparen im Alltag habe, sagte der Kanzler „Nö“. Man hatte den Eindruck, Olaf Scholz finde die Frage ziemlich albern. Aber das ist sie nicht.

Politische Führung besteht nicht darin, die Bürger möglichst in Ruhe zu lassen. Die Frage nach persönlichem Verzicht der Bevölkerung, die Bitte darum, ist ein Teil dessen, was Scholz in einer Art „Rede zur Nation“ zum Thema Energiesicherheit ansprechen sollte.

Eine unsichere Energieversorgung mit all ihren möglichen Konsequenzen ist für das Industrieland Deutschland im Ernstfall ähnlich schwerwiegend wie die Corona-Pandemie. Damals wandte sich selbst Kanzlerin Angela Merkel, die die Bevölkerung jahrelang am liebsten mit Politik und Problemen in Ruhe gelassen hatte, per Fernsehansprache an ihre Landsleute. „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“

So war die Lage zu Beginn der Pandemie, und so ist sie auch jetzt, wenn es um die Energieversorgung geht. Dass heute nach zehn Tagen Wartung wieder Gas durch Nord Stream 1 strömt, ändert daran gar nichts.

Quelle: https://www.tagesschau.de/kommentar/nordstream-141.html